Hebammen – Zwischen Geburt und Zukunftsangst 

Stellen Sie sich vor, Sie liegen mit Ihrem ersten Kind in den Wehen und keiner ist da, um das Kind auf die Welt zu bringen. Dieses Horrorszenario ist vielleicht etwas hoch­gegriffen, aber womöglich ohne Lösung für einige werdende Mütter in Deutschland gar nicht soweit entfernt. Denn die Hebammen kämpfen um den Erhalt eines ganzen Berufs­standes. Grund dafür: der Versicherungsschutz. Der letzte Versicherer kündigte an, dass er ab 2015 keinen Berufshaftpflichtschutz mehr anbieten will. Wie die Situation genau aussieht, berichtet Banktip.

Banktip-Gespräch mit der Vorsitzenden des Berliner Hebammenverbandes, Susanna Rinne-Wolf.

"Die Uhr steht nicht mehr auf fünf vor zwölf, sondern auf fünf nach zwölf", erklärt Susanna Rinne-Wolf. Die Nürnberger Versicherung kündigte an, 2015 aus dem Versicherungskonsortium für die Hebammenhaftpflicht auszu­steigen. Damit ist unklar, ob die verbliebenden Partner diese Ver­sicherung noch anbieten können. Schon in den letzten Jahren schnellten die Beiträge in die Höhe. "In den 1980er Jahren betrug der Beitrag 30 Euro", sagt Rinne-Wolf. Mittlerweile klingt diese Zahl schon utopisch. Hebammen, die auch Geburtshilfe anbieten, müssen derzeit 4.242 Euro im Jahr für den Versicherungsschutz ausgeben. Ab dem 1. Juli 2014 steigt der Beitrag nochmals auf 5.090 Euro. "Und für das nächste Jahr gibt es noch kein Angebot", erklärt Susanna Rinne-Wolf.

Susanna Rinne-Wolf absolvierte die Hebammenausbildung vor zehn Jahren. "Der Wunsch Hebamme zu werden, frischte wieder auf als mein Sohn geboren wurde", erklärt die 37-Jährige. "Allerdings behauptet meine Mutter, dass ich es schon im Kindergarten werden wollte", fügt Rinne –Wolf mit einem Lächeln hinzu. Bevor sie die erste Vorsitzende des Berliner Heb­ammenverbandes wurde, arbeitete sie selbst als freiberufliche Hebamme. Im Durchschnitt hatte sie sieben bis acht Haustermine am Tag plus Telefonaten und Abrechnungen.

Zur Hebammentätigkeit gehört dabei nicht nur die Geburtshilfe. Die Schwangeren werden während der Schwangerschaft als auch nach der Geburt am Wochenbett und während der Stillzeit von den Hebammen betreut und beraten.

Lohn viel zu niedrig

"Viele Hebammen arbeiten mehr als 40 Stunden in der Woche, um sich die Haftpflicht leisten zu können", erklärt Rinne-Wolf. Dieses enorme Arbeits­pensum führte dazu, dass einige Hebamme keine Geburtshilfe mehr durchführten, und sich nur noch der Vor- und Nachbetreuung widmeten. "Die Versicherungsbeiträge werden dadurch geringer." Susanne Rinne-Wolf zufolge verdienen freiberufliche Hebammen im Durchschnitt 8,30 Euro in der Stunde. "Da können Sie sich vorstellen, wie viel gearbeitet werden muss, damit die Beiträge für die Versicherung bezahlt werden können", fügt die 37-jährige hinzu.

Der Grund für die horrenden Versicherungsbeiträge sind die möglichen Regressforderungen. Wird zum Beispiel ein Kind geboren, welches während der Geburt einen Schaden erleidet, haftet die Hebamme. Dank der modernen Medizin können Kinder auch mit Behinderungen länger leben. Die Sozialversicherer haben dadurch jedoch höhere Ausgaben, die auf die Haftpflicht der Hebammen übertragen werden. Durch diese Entwicklung der modernen Medizin in den letzten Jahren stiegen die Deckungssummen der Versicherer an. Mit den steigenden Regressansprüchen der Sozial­versicherer stiegen die Beiträge für die Hebammen.

"Als Hebamme müssen Sie – anders als beim Arzt – bei einem Schaden beweisen, dass sie es nicht waren. Dem Arzt muss der Schaden nach­gewiesen werden", erklärt Susanna Rinne-Wolf. Zudem sei die Verjährungs­frist bei Haftpflichtschäden bei Hebammen auf 30 Jahre fest­gelegt. "Hebammen können Schäden zur Last gelegt werden, obwohl sie schon teilweise in Rente oder gar nicht mehr in diesem Beruf tätig", sagt Rinne-Wolf weiter.

Es gibt einige Fälle, bei denen Hebammen in Privatinsolvenz gehen mussten. Dies liegt daran, dass die Deckungssumme der Haftpflicht­versicherung erreicht ist und ausgeschöpft wurde und trotzdem weiter Regressforderungen gestellt werden "Ich kenne einige Fälle davon", erklärt die 1. Vorsitzende des Berliner Hebammenverbandes.

Geburtsort gesetzlich frei wählbar

Schwangere Frauen haben für ihre Niederkunft laut Gesetz mehrere Möglichkeiten. Sie können unter anderem zwischen Hausgeburt, Hebammeneinrichtungen oder Krankenhäusern auswählen. Fällt der Versicherungsschutz weg, besteht diese Wahlmöglichkeit nicht mehr. Die Geburt im Krankenhaus bliebe die einzige Option. Doch wie sieht die Situation der Hebammen im Krankenhaus aus?

Die Hebammen im Krankenhaus sind laut Rinne-Wolf teilweise über die Haftpflichtversicherung des Krankenhauses geschützt. Fallen Schäden an, wird dies manchmal über den laufenden Haushalt des Krankenhauses gedeckelt werden. "Oft muss die Hebamme für Schäden jedoch selbst aufkommen", erklärt Rinne-Wolf. Angestellte Hebammen, die Geburtshilfe durchführen, haben außerdem die Möglichkeit sich über eine Gruppen­haftpflicht zu versichern. "Diese Möglichkeit kennen viele nicht", sagt Susanna Rinne-Wolf. Diese sei günstiger und schützt die Hebamme in Festanstellung.

Haftpflicht mit Tücken

Krankenhäuser bieten auch Haftpflichtversicherungen für Hebammen an. Arbeitgeber müssen in der Regel bei Vertragsabschluss ihre Arbeitnehmer haftpflichtversichern. Diese seien jedoch an bestimmte Bedingungen geknüpft. Wie bei den meisten Haftpflichtversicherungen wird grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen.

Eine Vollzeitkraft im Krankenhaus betreut laut Rinne-Wolf etwa 140 Fälle pro Jahr. Dazu gehört nicht nur die Begleitung und Betreuung der Geburt im Kreissaal, sondern auch die Mitbetreuung der geburtshilflichen und gynäkologischen Ambulanz, das Anbieten einer Schwangerensprechstunde und das Abhalten einer Risikosprechstunde. Geburtsvorbereitung und Wochenbettbetreuung fallen hier nicht in den Tätigkeitsbereich. Diese müssen die Hebammen zusätzlich noch anbieten. "Dies stellt einfach eine Überlastung dar", erklärt die 37-Jährige. Weiterhin entfällt bei einigen Versicherungen der Schutz, wenn bestimmte Medikamente eingesetzt werden. "Dabei handelt es sich um gängige Medikamente", sagt Susanna Rinne-Wolf

Thema der Politik

Das Thema der Berufshaftpflicht für Hebammen ist längst ein politisches Thema geworden. Denn laut Gesetz dürfen Ärzte ohne Hebammen nicht entbinden. Das heißt, bei den Geburten im Kreissaal eines Krankenhauses muss eine Hebamme anwesend sein, die die Geburtshilfe durchführt. Weiterhin kritisiert Rinne-Wolf, dass es nicht sein kann, dass bei jedem Geburtsschaden die Hebammen im Verdacht stehen. "In unserem Berufsstand sind deutschlandweit etwa 20.000 Menschen beschäftigt", berichtet Rinne-Wolf. "Wie können 20.000 Hebammen die Verantwortung für alle in Deutschland geborenen Kinder übernehmen? Ich halte es für eine große Ungerechtigkeit, dass die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für jede Geburt auf die Schultern einer so kleinen Berufsgruppe geladen wird."

"Wenn ein Kind geboren wird, kann immer etwas passieren. Und dies kann nicht immer die Schuld der Hebamme sein, da manche Dinge einfach unvorhersehbar sind. Die Annahme, dass alles die Schuld der Hebamme ist, ist falsch." Dadurch, dass Hebammen ihre Unschuld beweisen müssen, fällt für 30 Jahre die Schuld auf die Geburtshelferin, wenn bei dem Kind eine Behinderung oder Krankheit festgestellt wird, die eventuell auf den Geburtsvorgang zurückzuführen sei. Susanna Rinne-Wolf hofft auf eine politische Lösung und sieht darin eine große Chance für den Berufsstand der Hebammen. "Der Gesetzgeber ist in der Verpflichtung hier eine Lösung zu finden. Schließlich besteht laut Sozialgesetzbuch V das Anrecht auf Hebammenbetreuung", erklärt die 37-jährige.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass Frauen kaum noch entscheiden können wo und wie sie ihr Kind gebären. Ein gesetzlich verankertes Recht fällt aufgrund der Versicherungsproblematik weg. Vielleicht erklärt dies auch, wieso Politik und Gesellschaft erst jetzt aktiver eine Lösung suchen. "Als Hebammen arbeiten hauptsächlich Frauen für Frauen. Zudem ist es ein sozialer-medizinischer Dienst", kritisiert Rinne-Wolf die Situation weiter. Es bleibt zu hoffen, dass eine rasche politische Lösung gefunden wird, damit der Beruf der Hebamme weiter ausgeführt werden kann und schwangere Frauen selbst über ihre Niederkunft entscheiden können.

Weitere Informationen sind auf der Homepage des Berliner Hebammenverbandes zu finden.

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